Vor einiger Zeit hatte ich die Ehre, in ein frisch errichtetes Haus einziehen zu dürfen. Zur Feier dieses Ereignisses habe ich aus einem Stück Holz eine Plakette gebastelt, in der die Jahreszahl eingraviert wurde, und diese an der Hauswand installiert. Nun versuche ich seitdem, mir folgendes vorzustellen: „Was wäre, wenn durch irgendeinen Zufall dieses Stück Holz über eine lange, lange Zeit erhalten bliebe? Was würden in ein paar tausend Jahren die Archäologen der Zukunft daraus schließen?“
Nun, zunächst einmal würde man wohl herausfinden wollen, welche Datierung hier zugrunde zu legen ist. Dazu könnte man das Alter des Holzstückchens ermitteln. Mit Hilfe der heutzutage üblichen Radiokohlenstoffdatierung (auch C14-Datierung genannt) würde der ungefähre Zeitpunkt zu ermitteln sein, an dem der Baum gefällt wurde, aus dem das Holzstück stammt. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass in diesem konkreten Fall das Holz seit mehreren Jahren in einer Brennholzkiste lag. Die Zeitpunkte zwischen dem Fällen und der Bearbeitung liegen also weit auseinander. Die Methode der Dendrochronologie oder Baumringdatierung führt aus denselben Gründen ebenfalls nicht weiter. Auch das, was auf dem Schild dargestellt wird, ist nicht für eine eindeutige zeitliche Zuordnung geeignet. Jedenfalls dann nicht, wenn in ferner Zukunft der Bezugsrahmen, also unsere heutige Zeitrechnung, nicht mehr bekannt ist oder verstanden wird. Wir kennen auch in unserer heutigen Zeit mehrere Kalenderrechnungen. In der westlichen Welt wird in der Regel a.D. (anno Domini) gerechnet – wobei es allerdings schon bei dieser Berechnung Abweichungen gibt . Gänzlich davon abweichend sind Zählweisen wie – um nur ein Beispiel zu nennen – die Japanische Zeitrechnung. Für das Verständnis der dargestellten Jahreszahl ist also auch die Kenntnis des historischen Kontextes erforderlich.
Des Weiteren ist ohne weitere Informationen nicht ohne weiteres erkennbar, welches Datum hier eigentlich dokumentiert werden sollte, und warum. Die „Verewigung“ des Datums, wann ein Gebäude fertiggestellt wurde, ist aus heutiger Sicht nicht ungewöhnlich. Man findet so etwas recht häufig vor allem an historisch bedeutsamen Häusern. Es handelt sich um ein Relikt aus der Zeit, als der Bau größerer Häuser vor allem den Wohlhabenden vorbehalten und die Fertigstellung solch eines Hauses ein generationsübergreifend wichtiges Ereignis war, das es für die Nachwelt zu erhalten galt. In unserer modernen Welt ist dies eher zu einem alltäglichen Geschehen geworden, so dass das Datum einer Fertigstellung nicht mehr dieselbe Bedeutung besitzt. Für künftige Generationen – um auf das Beispiel zurückzukommen – müsste das also bedeuten, dass die nachweisbaren Daten eine große Lücke aufweisen. Nach einem scheinbar großen Bauboom etwa im 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts (wobei vieles ja in den Kriegsereignissen des 20. Jahrhunderts unwiederbringlich verlorengegangen ist) scheinen gegen Ende des 20. Jahrhunderts wenige bis gar keine Neubauten mehr hinzugekommen zu sein. Es kommt noch eine zufällige Pointe hinzu: In meinem Fall handelt es sich um das Jahr 2020. Hier liegt also auch noch eine Zahlen-Kuriosität vor, die eine Identifikation als Jahreszahl erschweren könnte.
Zusammenfassend bleibt zu sagen: Man kann hier also das Alter der Holzplatte ermitteln, und man kann anhand historischer Überlieferungen einen Bezug zum zeitlichen Zusammenhang herstellen. Was man aber nicht feststellen kann, das ist der Zeitpunkt, wann diese Holzplatte bearbeitet und montiert wurde. Und dies muss ebenso gelten für alle Arten von zeitlichen Datierungen, die in der Archäologie zu finden sind. Egal, ob es sich dabei um die Steine von Stonehenge handelt, die Bauten der Maya oder um die ägyptischen Pyramiden. In diesen Fällen kann das Alter der Steine bestimmt werden, und es gibt historische Zusammenhänge.
Aber niemals sollte behauptet werden, man könne aus den Steinen ablesen, wann diese in eine Form bearbeitet, transportiert oder zu einem Bauwerk errichtet wurden.Auch eventuelle Schmutzreste oder Patina an handwerklichen Erzeugnissen aller Art sind kein geeignetes Mittel zur Altersbestimmung. Wenn man davon ausgeht, dass diese Gegenstände für eine gewisse Zeit irgendeine Form von Wertschätzung erhielten, so werden sie während dieser Zeit gehütet und gepflegt worden sein. Sorgfältig versteckt und gelagert, wurden sie nur zu besonderen Zwecken – oder vielleicht zu besonderen Zeiten – hervorgeholt. Man denke in diesem Zusammenhang an den Weihnachtsschmuck, der in christlichen Haushalten elf Monate lang auf Dachböden oder in Kellern gelagert wird, bis man ihn zur Adventszeit hervorholt, ihn entstaubt, poliert und neu erglänzen lässt. So lange diese Wertschätzung anhält, werden die Objekte stets ihren Glanz behalten. Lässt aber die Aufmerksamkeit erst einmal nach, so geht auch der Glanz schnell verloren. Denkbar wäre in alten Zeiten eine Naturkatastrophe, ein kriegerischer Zwischenfall oder Krankheitsausbrüche. Ist ein verlorengegangenes Objekt erst einmal von Erde bedeckt oder von Dschungelpflanzen überwuchert, entsteht zwangsläufig früher oder später eine Schmutzkruste – aber eben erst dann, nachdem die Verehrung endete.
Natürlich möchte jede Kultur gern für sich in Anspruch nehmen, Monumentalbauten errichtet zu haben. Insbesondere bei den ägyptischen Pharaonen ist ein Hang zur Selbstdarstellung nicht zu übersehen. Ganze Wände der Prachtbauten sind gefüllt mit Darstellungen „seht her, was ich geschaffen habe“. Dabei fällt aber sofort auf, dass es zwar Darstellungen gibt der jeweiligen Herrscher und auch ganzer Heerscharen ihrer Sklaven; aber keine einzige Darstellung zeigt etwas ähnliches wie „Ich, der Herrscher, bei der Grundsteinlegung“ oder gar so etwas wie ein „Richtfest“. Im Gegenteil: Die Maya gaben den spanischen Eroberern zu verstehen, man habe einige ihrer Stätten nie anders gekannt als in Ruinen. Sie selbst haben also nie für sich in Anspruch genommen, die Planer oder Erbauer zu sein. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist die Stadt Puma Punku. Als die spanischen Eroberer sie im 16. Jahrhundert wiederentdeckten, lag die Stadt bereits in Trümmern. Und wer die Erbauer von Stonehenge waren, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.
Jedenfalls gilt auch in diesen Beispielen: es gibt keine Möglichkeit, den Zeitpunkt der Steinbearbeitungen festzulegen. Für Stonehenge gibt es gar keine Aufzeichnungen, von den Maya-Überlieferungen ist aufgrund von religiösem Fanatismus fast nichts übriggeblieben, und bei den Ägyptern könnte es sich um eine Art steinerner Graffiti handeln. Jedenfalls ist die Wissenschaft sich in diesem Punkte einig, dass – bis heute erkennbar – einige der Hieroglyphen mindestens einmal, vielleicht sogar mehrfach geändert oder „überschrieben“ wurden. Das könnte auch erklären, warum einige Texte und Zeichen erhaben, andere vertieft dargestellt sind. Nach meiner Theorie wären demnach die erhabenen Texte die älteren; würde einem späteren Herrscher das, was dort über seine Vorgänger stand, nicht (mehr) gefallen, so würde die Fläche abgeschliffen (quasi wie eine Schultafel „abgewischt“) und anschließend neu beschriftet werden, diesmal (mangels Materials) in vertiefter Schrift. Zumal die Schrift in erhabenen Zeichen die aufwendigere ist, da man ja alles Material „drum herum“ entfernen muss.