"Gebt uns Raum!"

Seit Anbeginn der Menschheit ist es ein Grundbedürfnis, vorwärts zu streben. Bereits die ersten, frühen Menschen waren offenbar begierig zu wissen, was es hinter dem Horizont zu entdecken gibt. Die Gründe für diese Neugierde können vielfältig sein. Sei es, dass am bisherigen Ort die Lebensmittelressourcen knapp wurden; sei es, dass es innerhalb einer Gruppe zu Unstimmigkeiten und Reibereien kam; oder vielleicht gab es eine Naturkatastrophe, bei der die Überlebenden zu einer räumlichen Veränderung gezwungen wurden. Jedenfalls gab es immer wieder mehr oder weniger kleine Gruppen, die das Abenteuer wagten und – buchstäblich – zu neuen Ufern aufbrachen. In früheren, unsicheren Zeiten wird diese Reise ins Ungewisse in jedem Fall eine Reise ohne Wiederkehr gewesen sein, denn es gab ja nichts, was ein Gefühl von „Heimat“ oder „Sehnsucht nach alten Zeiten“ hätte hervorrufen können. Als Jäger und Sammler auf ewiger Wanderschaft, war für diese Menschen ein Ort so gut wie der andere.

Nun aber war – wenn man den Archäologen Glauben schenken darf – die Erde in diesen frühen Tagen noch ein unbeschriebenes Blatt Papier. Ausgehend vom afrikanischen Kontinent machten sich die Menschen auf den Weg, neue Gegenden zu entdecken und neue Zivilisationen zu gründen. Egal, in welche Richtung man sich wandte: es gab überall neue Jagdgründe zu erobern. Viele dieser ersten Expeditionen ins Ungewisse werden gescheitert sein, da man weder über Flora und Fauna des neuen Ortes informiert sein konnte noch über die klimatischen Verhältnisse, die dort zu erwarten waren. Plötzlich auftretende Trockenzeiten oder langanhaltende, harte Winter, ohne dass man die nötige Zeit oder Erfahrung gehabt hätte, die zum Überleben notwendigen Vorräte anzulegen, werden häufig für ein sang- und klangloses Erlöschen einer Siedlung gesorgt haben. Aber früher oder später werden nachfolgende Generationen erneute Besiedelungsversuche wagen, und die werden es durch hinzugewonnenes Wissen oder einfach nur durch Glück irgendwann schaffen. Bis eines Tages die neue entstandene Gruppe erneut so angewachsen ist, dass ein weiteres Mal das Reisefieber ausbricht; oder eine weitere, unerwartete Katastrophe trifft die Menschen.

Jedenfalls gab es in jenen „glücklichen Tagen“ noch Platz im Überfluss. Jederzeit konnten wagemutige Abenteurer oder Entdecker ihre Koffer packen und sich auf den Weg machen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Wie lange mag es wohl gedauert haben, bis der erste Mensch während einer solchen Reise das schockierende Erlebnis hatte, auf andere Menschen zu treffen? Menschen, die den vermeintlich „neuen“ Ort längst als ihre eigene Heimat besiedelt haben – die also quasi „von der anderen Seite her“ (?) gekommen sind? Ähnliche Zusammentreffen werden in heutiger Zeit angenommen zwischen den Neandertalern und dem modernen Homo Sapiens – wobei die Frage noch offen ist, wie es überhaupt zur Entstehung dieser beiden unterschiedlichen Arten kommen konnte. Man geht aber davon aus, dass beide Arten eine Zeitlang nebeneinander existiert haben, bevor der Neandertaler völlig verdrängt wurde und ausstarb.

In späteren Zeiten der Menschheitsgeschichte kam es immer wieder zu größeren Migrationswellen. Man denke dabei an die Völkerwanderung im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Ein anderes Beispiel sind die Einwanderungswellen in Richtung des amerikanischen Kontinents.  In beiden Fällen handelt es sich um große Menschenströme, die sich in Richtung von Gegenden bewegen, in denen es bereits eine menschliche Besiedelung gibt. Das muss naturgemäß zu Auseinandersetzungen führen. Zunächst wird der zur Verfügung stehende Raum immer knapper, dann die erforderlichen Ressourcen. Im Beispiel Amerikas ist bis heute bekannt, was diese Auseinandersetzungen für die indigene Urbevölkerung bedeuteten. Der „Wilde Westen“ war das verheißungsvolle neue Land; wer zuerst kam, konnte seinen Stecken in die Erde pflanzen und alles um ihn herum als sein Eigentum bezeichnen.

Bildcollage unter Verwendung eines Aquarells von Alfred Jacob Miller, Wikimedia Commons
Nun aber ist es in der heutigen Zeit so, dass es nirgendwo auf der Welt mehr leeren Raum gibt, den man als erster beanspruchen könnte. Wohin man sich auch wendet: es sind bereits Menschen dort. Allerdings heißt das nicht, dass die Migration zum Stillstand gekommen wäre. Im Gegenteil: in unseren Tagen sind mehr Menschen unterwegs als je zuvor. Sie sind auf der Flucht vor Krieg, Hunger, Armut oder politischer Verfolgung. Die Frage stellt sich: Wo können / sollen diese Menschen hin? Wo können sie eine neue Heimat finden, ohne dass die dort bereits lebenden Menschen dadurch Einbußen hinnehmen müssen?

Die naheliegende Antwort könnte so einfach sein, wenn die Menschheit nur ein klein wenig mehr technischen Fortschritt vorzuweisen hätte. Wenn der Platz auf der Erde nicht mehr ausreicht, dann müssen wir eben hinaus ins All!

Im November 2022 ging die Nachricht durch den Pressewald, die Menschheit habe die Zahl von acht Milliarden überschritten. Es ist abzusehen, dass eines Tages die auf der Erde produzierte Nahrung nicht mehr ausreicht; schon heute müssen Millionen Menschen hungern. Auch die Abgas- und Abfallmenge übersteigt an viele Orten längst das Zumutbare. Da es auf der Erde aber keinen freien Raum mehr gibt, bleibt nur der Schritt nach draußen. Alles, was wir noch dafür benötigen, sind ausreichend sichere und bezahlbare Raketen, die den Transport größerer Menschengruppen und ihrer Habseligkeiten ermöglichen.

In der Pionierzeit des 19. Jahrhunderts sind ganze Familien in Richtung „Wilder Westen“ gezogen, in ein unbekanntes Land voller Gefahren, nur ausgerüstet mit einem Planwagen voller Haushaltsgegenstände – oder mit noch weniger. Der Kontakt zu den Angehörigen konnte nicht weiter aufrechterhalten werden; Post, Telefon oder andere Kommunikationsmittel gab es noch nicht. Es war eine Reise ins Ungewisse, und oft eine Reise ohne Wiederkehr.

Demgegenüber wären die ersten Bewohner einer Mondsiedlung deutlich im Vorteil. Sie wären von Anfang an mit allem Notwendigen ausgestattet, die technischen Hilfsmittel wären besser und eine Verbindung zur Alten Welt könnte vergleichsweise leicht aufrechterhalten werden. 

Der Haken an der Sache ist leicht erkennbar: Die amerikanischen Siedler befanden sich stets auf sicherem Erdboden und damit auf vertrautem Terrain. Überall, wo sie hinkamen, war Luft und Wasser in ausreichendem Masse vorhanden oder zu finden. Dagegen müssen Mondsiedler ihre Lebensumgebung mitbringen bzw. neu aufbauen. Allerdings steckt darin gleichzeitig auch eine enorme Chance, denn der Mond ist, soweit wir heute wissen, voller wertvoller Grundstoffe. Alles, was für eine leistungsfähige Industrie erforderlich ist, ist dort zu finden, und einige Rohstoffe könnten als Handelsware genutzt werden. Die ersten Siedler auf dem Mond werden es nicht leicht haben, das ist sicher. Aber sie haben – ebenso wie die amerikanischen Siedler – eine glorreiche Zukunft vor sich. 

Würde die NASA heute dazu aufrufen, man möge sich freiwillig melden für die Gründung einer ersten Mondbasis: man könnte sich vermutlich vor dem Ansturm von Interessenten kaum retten.

Signale

Der italienische Physiker Enrico Fermi stellte 1950 eine interessante These auf, die sich zusammenfassen lässt mit der Frage: Wenn da drauße...